Regeln Funktionsverbgefüge

I.  Zum Gebrauch und zur Bildung von Funktionsverbgefügen

1.  

Funktionsverbgefüge werden besonders in den Fach- und Wissenschaftssprachen, in der Nachrichtensprache und Verwaltungssprache verwendet. Sie wirken offizieller und distanzierter als die Verwendung der entsprechenden Vollverben.

2.  Ein Funktionsverbgefüge (FVG) besteht aus

einem Funktionsverb (FV) und zumeist einem deverbalem Nomen actionis (einem aus einem Verb abgeleiteten Substantiv Abschlussabschließen)

2.1.  Funktionsverb + Nominalphrase

eine Frage stellen

bzw. einem Funktionsverb und einer Präpositionalphrase (PP).

2.2.  Funktionsverb + Präpositionalphrase

zur Diskussion stellen

Die Bedeutung des Funktionsverbs ist dabei so weit verloren gegangen, dass es nur noch eine syntaktische Funktion hat. Das FVG und Basisverb sind semantisch eng verwandt. Häufig kann das Vollverb das entsprechende FVG ersetzen.

  • eine Frage stellen - fragen
  • zur Diskussion stellen - diskutieren

Dabei ist zu beachten, dass eine relativ große Menge der FVG keine Entsprechung in einem Vollverb hat.

  • zu Grunde richten - zerstören
  • in Kauf nehmen - akzeptieren
  • Maßnahmen treffen - (kein entsprechendes Vollverb)

II.  Syntaktische Eigenschaften der Funktionsverbgefüge

1.  Die zwei Hauptgruppen

In Bezug auf die syntaktischen Eigenschaften können die Funktionsverbgefüge zunächst in zwei Hauptgruppen unterteilt werden.

1.Gruppe:
Funktionsverb + Nominalphrase

2.Gruppe:
Funktionsverb + Präpositionalphrase

1.1.  Der Artikelgebrauch

Die zwei Hauptgruppen der FVG lassen sich weiter nach der Verwendung des Artikels in Untergruppen unterscheiden.

1.1.  Funktionsverb + Nominalphrase

1.1.1.  FVG: ArtØ + Nomen + FV

Anerkennung finden

1.1.2.  FVG: Artdef + Nomen + FV

den Mut finden

Bei den Funktionsverbgefügen, die aus FV + PP bestehen, ist die Artikelverwendung ebenfalls unterschiedlich.
Der weitaus größte Teil der Substantive in FVG sind Abstrakta. Diese können, auch außerhalb der FVG, mit und ohne Artikel stehen.

1.2.  Funktionsverb + Präpositionalphrase

1.2.1.  FVG: Präp + ArtØ + Nomen + FV

in Abhängigkeit geraten

1.2.2.  FVG: Präp + Artdef (meist verschmolzen) + Nomen + FV

zur Sprache bringen

Auch hier wird der Definitartikel oder Nullartikel verwendet. Entweder taucht der Artikel nicht auf (z.B. in Erfahrung bringen) oder er ist mit der Präposition verschmolzen (z.B. zur Sprache bringen).
Die Grammatiken gehen von diesem prototypischen Fall aus, die Verwendung von Indefinitartikeln ist im Sprachgebrauch jedoch etabliert.

  • zum Entschluss kommen
  • zu einem Entschluss kommen

Im Falle des FVG, das aus einem FV und einer PP besteht, ist die Präposition semantisch und syntaktisch eng an das Nomen gebunden und nicht, wie bei Präpositionalobjekten, an das Verb.

2.  Das Funktionsverb

Bei den Funktionsverben handelt es sich um Verben, die im Rahmen des FVG ihre ursprüngliche Bedeutung mehr oder weniger verloren haben. Sie können nicht allein das Prädikat ausdrücken sondern nur in Verbindung mit einer Nominal- bzw. Präpositionalphrase.

Unterstützung finden

Die eigentliche Funktion des Funktionsverbs ist semantischer Art, indem es den Vorgang bzw. die Aktionsart genauer bezeichnen kann als das entsprechende Vollverb. (s. III. 1.)

zur Entscheidung bringen kommen stehen

Die häufigsten Verben in den Funktionsverbgefügen sind:

bringen erfahren finden führen geben leisten machen nehmen setzen stehen stellen treffen

3.  Das Funktionsnomen

Das Funktionsnomen kann aus unterschiedlichen Substantivformen bestehen.

3.1.  

Das häufigste Nomen ist ein deverbales Nomen actionis, d.h. ein Nomen, das aus einem Verb abgeleitet ist und ein Geschehen bezeichnet. Das Nomen steht in der Regel im Singular.

den Entschluss fassen - entschließen

3.2.  

Das Funktionsnomen kann aus einem Nomen bestehen, das aus einem Adjektiv abgeleitet ist.

in Abhängigkeit geraten - abhängig sein

3.3.  

Auch mit einem primären Nomen kann ein Funktionsverbgefüge gebildet werden.

ein Ende finden - beenden

Im Gegensatz zu der relativ begrenzten Zahl von Funktionsverben ist die Menge der Substantive kaum begrenzt.

4.  Die Präpositionalphrase

4.1.  

Die Präpositionen in Funktionsverbgefügen sind ebenso wie die Funktionsverben begrenzt.
Neben Präpositionen wie

  • an (ans Licht bringen)
  • auf (auf Kritik stoßen)
  • außer (außer Kraft setzen)
  • unter (unter Beweis stellen)

sind jedoch die weitaus häufigsten Präpositionen in und zu.

Die Präpositionen haben innerhalb eines FVG ihre ursprüngliche, meist lokale, Bedeutung verloren. Die Präposition bindet sich im Funktionsverbgefüge nicht wie üblich an das Verb sondern an das Nomen der Präpositionalphrase.
Die Präpositionen in und zu weisen eine gewisse Regelhaftigkeit bzgl. der Verschmelzung mit dem Artikel auf.

4.2.  Die Präposition in + Artikel

Abhängig vom jeweiligen Verb kann in den Dativ oder Akkusativ verlangen.

4.2.1.  Akkusativverben + in
FV + in + Nomen (neutr) → Verschmelzung

ins Unrecht setzen

FV + in + Nomen (mask) → keine Verschmelzung

in Gang setzen

FV + in + Nomen (fem) → keine Verschmelzung (zumeist ohne Artikel)

in Kenntnis setzen

4.2.2.  Dativverben + in
FV + in + Nomen (neutr) → Verschmelzung

im Einvernehmen stehen

FV + in + Nomen (mask) → Verschmelzung

im Widerspruch stehen

FV + in + Nomen (fem) → keine Verschmelzung

in Verbindung stehen

Das heißt, nur für die Nomen im Neutrum können sowohl Akkusativ als auch Dativ markiert werden. Hier gibt es grundsätzlich eine Verschmelzung von Präposition und Artikel. Für die Dativverben gilt dies für die Maskulina und Neutra. Die femininen Nomen stehen in der Regel ohne Artikel, so dass der Kasus nicht erkennbar ist.

4.3.  Die Präposition zu + Artikel

Die Präposition zu verlangt stets den Dativ und lässt sich mit den Artikeln aller drei Genera verschmelzen.

FV + zu + Nomen (neutr) → Verschmelzung

zum Stehen kommen

FV + zu + Nomen (mask) → Verschmelzung

zum Ausdruck kommen

FV + zu + Nomen (fem) → Verschmelzung

zur Aufführung kommen

Es gibt wenige Ausnahmen wie bspw. zu Hilfe kommen. Bei diesen Ausnahmen handelt es sich in der Regel um volllexikalisierte Formen, d.h. um eine festgelegte Worteinheit im Wortschatz. Dies wird auch an der früheren Schreibweise zuhilfe kommen deutlich.

4.4.  Adjektivische Attribute

Die Verwendung adjektivischer Attribute ist eingeschränkt. Grundsätzlich kann gesagt werden, je weiter die Nominalphrase bzw. Präpositionalphrase lexikalisiert ist, desto begrenzter ist die Verwendung eines adjektivischen Attributs.

in helle Aufregung geraten (in große Aufregung geraten)
Aber nicht:∗ zur schnellen Sprache bringen

4.5.  Negation

Eine weitere syntaktische Besonderheit ist die Negation. Die Präpositionalphrase in dem Funktionsverbgefüge wird nicht mit kein sondern mit nicht negiert.

Er brachte seine Zweifel nicht zum Ausdruck.

Für die Nominalphrasen ist die Negation häufig mit nicht und kein möglich.

  • Beide Parteien trafen nicht die Vereinbarung.
  • Beide Parteien trafen keine Vereinbarung.

4.6.  Ersetzung durch Pronomen

Die Nominalphrasen bzw. die Präpositionalphrasen in einem Funktionsverbgefüge können nicht durch Pronomen ersetzt werden.

Beide Parteien treffen eine Vereinbarung.
Aber nicht:∗ Beide Parteien treffen sie.

Er brachte seine Zweifel zum Ausdruck.
Aber nicht:∗ Er brachte seine Zweifel dazu.

NP wie PP können ebenfalls nicht erfragt werden.

Beide Parteien treffen die Vereinbarung.
Aber nicht:∗ Was treffen beide Parteien?

Er brachte seine Zweifel zum Ausdruck.
Aber nicht:∗ Wohin brachte er seine Zweifel?

III.  Semantische Eigenschaften der Funktionsverbgefüge

Ein wesentliches Merkmal der Funktionsverbgefüge ist die Variierbarkeit der Aktionsarten. Unter Aktionsart des Verbs wird die zeitliche Abstufung (z.B. durativ bzw. inchoativ) oder inhaltliche Differenzierung (aktivische bzw. passivische Bedeutung) des Geschehens verstanden. Hier werden die Aktionsarten für die gängigsten Aktionsarten aufgeführt. Dabei ist zu beachten, dass ein FVG sich in den Aktionsarten auch überschneiden kann.

1.  Aktionsarten

Ein Vollverb und ein Funktionsverbgefüge können sich durch die Perspektive auf das Geschehen unterscheiden. Das FVG kann die Verlaufsweise bzw. die zeitliche Abstufung des Geschehens näher bestimmen.

Hier werden die für die FVG gängigsten Aktionsarten aufgeführt:

sich bewegen
Aktionsart FVG
durativ: in Bewegung sein
inchoativ: in Bewegung kommen
kausativ: in Bewegung bringen

D.h. mit Funktionsverbgefügen lässt sich die Handlung häufig differenzierter beschreiben als mit dem Vollverb, indem die Dauer (durativ), der Beginn (inchoativ) eines Geschehens bzw. eines Zustands oder auch ein neuer Zustand bzw. ein Bewirken (kausativ) ausgedrückt werden können.

1.1.  Durative FVG

Die Unterscheidung der FVG nach Aktionsarten wird vor allem vom Funktionsverb geleistet. Die folgenden Verben sind die häufigsten für durative FVG und drücken die Dauer eines Geschehens oder eines Zustands aus.

sich befinden sein stehen

sich in Abhängigkeit befinden abhängig sein
in der Lage sein fähig sein
zur Verfügung stehen verfügen

Die Beispiele zeigen, dass sich die FVG und die entsprechenden Vollverben in ihrer Bedeutung im Grunde nicht unterscheiden, d.h. sie sind relativ austauschbar.

1.2.  Inchoative FVG

Im Gegensatz zu den durativen FVG drücken die inchoativen FVG den Beginn eines Geschehens bzw. dessen Zustandekommen aus.
Die häufigsten Verben in den inchoativen Funktionsverbgefügen sind:

geraten kommen

in Aufregung geraten aufgeregt sein / werden
zur Anwendung kommen anwenden

Die Funktionsverbgefüge mit inchoativer Bedeutung unterscheiden sich semantisch von den Vollverben und sind nicht immer austauschbar.

1.3.  Kausative FVG

Die kausativen FVG drücken aus, dass ein Geschehen bewirkt wird bzw. etwas in einen anderen Zustand übergeht. D.h. im Unterschied zu den vorhergehenden Aktionsarten wird die Handlung hier durch ein Agens verursacht.
Die häufigsten Verben in den kausativen FVG sind:

bringen geben nehmen setzen stellen

zur Aufführung bringen aufführen
in Auftrag geben beauftragen
in Anspruch nehmen beanspruchen
in Kenntnis setzen informieren
Forderungen stellen fordern

∗ Dieser Sachverhalt kann auch ohne kausatives Element ausgedrückt werden.
zur Aufführung kommen (wird aufgeführt) Die Aktionsart ist dann inchoativ.

1.4.  Passivumschreibungen

Die Funktionsverbgefüge können Umschreibungen für das Passiv darstellen. Auf diese Weise können sie Passivkonstruktionen ersetzen, die sehr komplex oder umständlich wirken.
Die häufigsten Verben für passivische FVG sind:

bekommen erfahren finden

  • Die Dozenten antworten den Studierenden.
  • Den Studierenden wird geantwortet.
  • Die Studierenden bekommen Antwort.
  • Die Arbeitsgruppe erkennt die Ergebnisse an.
  • Die Ergebnisse werden anerkannt.
  • Die Ergebnisse finden Anerkennung.
  • die Tutorien, die das Institut nicht fortsetzte
  • die Tutorien, die nicht fortgesetzt worden sind
  • die Tutorien, die keine Fortsetzung fanden

1.5.  Zusammenfassung

Die Gegenüberstellung von Funktionsverbgefügen und Vollverben macht deutlich, dass die Funktionsverbgefüge nicht jederzeit durch ein Vollverb ersetzt werden können. Wenn das FVG eine Markierung der Aktionsart hat, also den zeitlichen Verlauf des Geschehens abstuft, d.h. die Dauer oder den Beginn einer Handlung kennzeichnet und das entsprechende Vollverb diese Information nicht liefert, kann das Vollverb ein FVG nur teilweise ersetzen. Der semantische Mehrwert liegt dann im Funktionsverbgefüge.

2.  Weitere semantische Leistungen

2.1.  Intensivierung der Aussage

Auch wenn viele Funktionsverbgefüge durch entsprechende Vollverben zu ersetzen sind, gibt es doch häufig eine Intensivierung bzw. Abschwächung oder Versachlichung der Bedeutung durch das FVG.

Intensivierung durch FVG

die Wahl treffen  ↔  wählen

Abschwächung bzw. Versachlichung durch FVG

Kritik üben    ↔  kritisieren

2.2.  Perspektive der Mitteilung

Die Funktionsverbgefüge bilden eine Satzklammer.

Die Arbeit kam (SKl) auch außerhalb des Seminars zur Sprache (SKr).

So bildet die Präpositionalphrase die rechte Satzklammer. Für die Mitteilungsperspektive bedeutet dies, dass die bedeutungstragenden Satzglieder am Satzende stehen - also dort, wo die Glieder mit dem wichtigsten Mitteilungsgehalt und der jeweils neuen Information ihren Platz haben. Diese Struktur wird Thema-Rhema-Struktur genannt. Als Thema wird das Bekannte bezeichnet, das für den Leser einen geringen Mitteilungswert hat. Rhema bezeichnet dagegen die neue Information, die den größten Mitteilungswert hat.

Der Student entschied sich gleich nach der Veranstaltung.
Der Student traf gleich nach der Veranstaltung seine Entscheidung.

3.  Abgrenzung der FVG zu idiomatischen Wendungen

Funktionsverbgefüge und idiomatische Wendungen (Phraseologismen) lassen sich durch verschiedene Kriterien unterscheiden.

  • FVG werden vor allem in einer offizielleren Sprechweise verwendet. Die Funktionsnomen der FVG drücken dabei zumeist einen Vorgang bzw. ein Geschehen aus.
    eine Entscheidung treffen
    eine Entwicklung nehmen
  • Demgegenüber werden idiomatische Wendungen eher in der gesprochenen Sprache und Umgangssprache gebraucht. Die Funktionsnomen sind konkreter bzw. gegenständlicher Art.
    den Faden verlieren
    in den Rücken fallen
  • Funktionsverbgefüge sind produktiv, d.h. eine Präpositionalphrase kann ggf. verschiedene Funktionsverben an sich binden.

    zur Diskussion bringen, stehen, stellen

  • Dies gilt auch für die Funktionsverben, die wiederum verschiedene Präpositionalphrasen zu sich nehmen können.
    Anspruch stellen
    unter Beweis stellen
    in Aussicht stellen

Idiomatische Wendungen haben diese Möglichkeit nicht.