Regelkatalog zur Produktion von Nominalisierungen

Einführung

Durch die Verwendung des Nominalstils in Wissenschafts- und Fachtexten ist es möglich, mit knappen sprachlichen Mitteln ein hohes Maß an Informationen zu liefern. Im folgenden Regelkatalog wird es darum gehen, wie Verben, Adjektive und Nebensätze zu einer Nominalphrase - und somit zu einem Satzglied - umgeformt werden.

Zur Bildung einzelner Nominalphrasen

1.  Nominalisierung von Verben und Adjektiven

Eine Verbalphrase (VP), also ein flektiertes Verb (V) bzw. ein Adjektiv mit Hilfsverb (Adj+Vaux) wird zu einem Nomen.
Prinzipiell kann ein Nomen aus einem Verb geformt werden, indem man den Infinitiv mit einem Artikel (immer Neutrum) bildet. Dieser nominalisierte Infinitiv wird vor allem dann verwendet, wenn es kein eigenes Nomen zu dem Verb gibt. Zur Bildung des entsprechenden Substantivs ist es wichtig zu wissen, welche Endung (Suffix) benötigt wird. Dazu können Sie sich die Regeln zur Wortbildung ansehen. Es gibt jedoch nicht für alle Gruppen von Verben und Adjektiven verbindliche Regeln.

1.1.  

VP { V
Adj + Vaux
}  → N
erwerben der Erwerb (das Erwerben)
wichtig die Wichtigkeit (das Wichtige)

 

1.2.  

Unabhängig davon, welche Objekte ein Satz enthält, gelten die folgenden Regeln zur Nominalisierung für alle folgenden Teilgebiete.

Wenn das Subjekt ein Personalpronomen (Pronpers) ist, wird es bei der Nominalisierung zum Possessivpronomen (Pronposs). Handelt es sich beim Subjekt um das unpersönliche Pronomen man, entfällt dieses.

Pronpers → Pronposs

Sie arbeiten
Ihre Arbeit ...

Man arbeitet
Die Arbeit ...

1.3.  

Das Adverb (Adv) oder adverbial gebrauchte Adjektiv einer Verbalphrase wird bei der Nominalisierung zum attributiven Adjektiv (Adjattr). Beachten Sie hier, dass sich nicht aus jedem Adverb ein Adjektiv machen lässt, wie z.B. wenig (Adv) → gering (Adj)

Adv → Adjattr

Sie arbeiten engagiert.
Ihre engagierte Arbeit ...

1.4.  

Die Nominalisierung von Negationen (Neg) erfolgt, indem man ein entsprechendes Adjektiv bildet. Die Wahl des Adjektivs ist immer kontextabhängig.

Neg → Adj

Die Studenten arbeiten nicht.
Die mangelnde/fehlende Arbeit der Studenten ...

1.5.  

Bei festen Verb-Substantiv-Verbindungen (auch Funktionsverbgefüge) wird das Verb oft nicht nominalisiert, da es kaum Eigenbedeutung und in erster Linie grammatisch-syntaktische Funktion hat.

Die Studierenden stellen hohe Anforderungen.
Hohe Anforderungen der Studierenden ...

Zwischen den Sprachen bestehen einige Unterschiede..
Einige Unterschiede zwischen den Sprachen ...

Die Verben haben und sein werden nicht nominalisiert.

1.6.  

Wenn das Substantiv weder Artikel (auch im Plural) noch attributives Adjektiv bei sich hat, verwenden Sie die Ersatzform zum Genitiv mit von.

Literatur ist wichtig.
Die Wichtigkeit von Literatur

Ansonsten gilt die Ersatzform zum Genitiv mit von als umgangssprachlich.

2.  Nominalisierung von Sätzen ohne Objekt, mit Reflexivverb (Vrefl) und mit Präpositionalobjekt (Objpräp)

In diesem Kapitel 2 geht es allgemein um intransitive Verben (Vitr), d.h. um solche Verben, bei denen kein Akkusativobjekt (Objakk) stehen kann, unabhängig davon, ob ein anderes Kasus- oder Präpositionalobjekt bei ihnen stehen kann.

2.1.  

Um einen Satz ohne Objekt oder mit Reflexivverb zu nominalisieren, wird zunächst aus dem Verb das entsprechende Nomen gebildet. Das Subjekt (Subj) des Satzes wird zum Genitivattribut (Ngen).

VP →  NP
Subj →  Ngen

Die Studenten arbeiten.
Die Arbeit der Studenten ...

Die Studenten treffen sich.
Das Treffen der Studenten ...

Beachten Sie aber, dass Reflexivverben auch ein Objekt bei sich haben können. (z.B. sich einer Sache/einer Person annehmen oder sich etwas aneignen). In dem Fall sehen sie sich Punkt 3 oder 4 in diesem Regelkatalog an.

2.2.  

Wird ein Satz mit einer Präpositionalphrase (PP) nominalisiert, wird diese zumeist unverändert zum präpositionalen Attribut. Als Rechtsattribut steht sie hinter dem Genitivattribut.

PP → AttrR

Die Studenten arbeiten an dem Projekt.
Die Arbeit der Studenten an dem Projekt ...

Beachten Sie hierbei, dass es zu einem Wechsel der Präpositionen kommen kann, wenn das Verb nominalisiert wird. (z.B. sich interessieren für / das Interesse an)

3.  Nominalisierung von Sätzen mit Akkusativobjekt (Objakk)

Die Nominalisierung von Sätzen mit einem Akkusativobjekt muss je nachdem, ob es sich um einen Aktiv- oder Passivsatz handelt, unterschieden werden.

3.1.  Für Aktivsätze gilt:

  1. Nominalisierung des Verbs
  2. Das Akkusativobjekt wird Genitivattribut
  3. Aus dem Subjekt wird eine Präpositionalphrase mit durch gebildet, die hinter dem Genitivattribut steht.
V  →  N
Nakk  →  Ngen
Subj  →  PPdurch

Die Studenten planen ein Projekt.
Die Planung des Projekts durch die Studenten ...

3.2.  Für Passivsätze gilt:

  1. Nominalisierung des Partizips
  2. Aus dem Subjekt wird ein Genitivattribut
  3. Die Präpositionalphrase des Satzes mit von/durch wird zur PP mit durch und steht hinter dem Genitivattribut.
Part II  →  N
Subj  →  Ngen
PPvon/durch  →  PPdurch

Das Projekt wird von den Studenten geplant.
Die Planung des Projekts durch die Studenten ...

Passivsätze treten häufig ohne Präpositionalphrase auf. In diesem Fall entfällt auch die Präpositionalphrase mit durch.

Das Projekt wird geplant.
Die Planung des Projekts ...

4.  Nominalisierung von Sätzen mit Dativobjekt (Objdat)

4.1.  

Bei der Nominalisierung eines Satzes mit einem Dativobjekt wird, nachdem aus dem Verb das entsprechende Nomen gebildet wurde, das Akkusativobjekt zum Genitivattribut. Das Dativobjekt wird in eine Präpositionalphrase verwandelt und steht hinter dem Genitivattribut.

V  →  N
Nakk  →  Ngen
Objdat  →  PP

Man teilt den Studenten den Plan mit.
Die Mitteilung des Plans an die Studenten ...

4.2.  

Beachten Sie, dass die entsprechenden Präpositionen der Präpositionalphrasen immer vom jeweiligen Nomen abhängen. Schlagen Sie gegebenenfalls im Wörterbuch nach.

jdm. etwas anbieten das Angebot an jdn.
jdm. etwas verweigern die Verweigerung einer Sache jdm gegenüber
    (nachgestellt)

 

4.3.  

Wenn der Satz nur ein Dativobjekt enthält, also kein Akkusativobjekt, wird das Dativobjekt zur PP.

Man dankt den Studenten.
Der Dank an die Studenten ...

5.  Nominalisierung von Sätzen mit prädikativem Adjektiv

Bei der Nominalisierung eines Satzes mit einem prädikativen Adjektiv (Adjpräd) wird dieses Adjektiv zum Nomen. Das Subjekt des Satzes wird zum Genitivattribut.

Adjpräd  →  N
Subjakk  →  Ngen

Die Studenten sind engagiert.
Das Engagement der Studenten.

6.  Exkurs

Nominalisierung von Modalverben

Wenn es darum geht, die Bedeutung von Modalverben zu interpretieren, gibt es häufig mehrere Deutungsmöglichkeiten (Ambiguität). Bei der Verwendung des Nominalstils sind die Modalverben durch ihre entsprechenden Nomen zu ersetzen. Um nun zu wissen, welches Substantiv dem Modalverb entspricht, müssen vor allem die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten geklärt sein, so dass anhand des Kontextes das passende Nomen verwendet werden kann. Im Folgenden finden Sie die häufigsten Entsprechungen der Modalverben (ausschließlich im objektiven Gebrauch)

6.1.  können

Variante 1 = Möglichkeit

Er kann den Vortrag besuchen.

  • Es ist möglich, dass er den Vortrag besucht.
  • Seine Möglichkeit, den Vortrag zu besuchen, ...

Variante 2 = Fähigkeit

Abiturienten können in der Regel zwei Fremdsprachen sprechen.

  • Abiturienten sind i.d.R. fähig, zwei Fremdsprachen zu sprechen.
  • Die Fähigkeit der Abiturienten, i.d.R. zwei Fremdsprachen zu sprechen, ...

Variante 3 = Erlaubnis

Die Bürger können mit 18 Jahren wählen.

  • Man erlaubt den Bürgern, mit 18 Jahren zu wählen.
  • Die Erlaubnis, mit 18 Jahren zu wählen, ...

 → nicht können → 

  1. Die Unmöglichkeit; die fehlende Möglichkeit
  2. Die Unfähigkeit; die fehlende, mangelnde Fähigkeit
  3. Die fehlende Erlaubnis (das Verbot)

6.2.  müssen

Variante 1 = Notwendigkeit
Diese Hauptbedeutung kann aus verschiedenen Gründen bestehen: z.B. einem Zweck, Gesetz, Befehl, einer Pflicht etc.

Die Studierenden müssen am Semesterende eine Prüfung ablegen.

  • Die Studierenden sind verpflichtet, am Semesterende eine Prüfung abzulegen.
  • Die Pflicht der Studierenden, am Semesterende eine Prüfung abzulegen, ...

Variante 2 = Forderung/Aufforderung
Der Grund für die Forderung/ Aufforderung liegt im Willen einer Person (möglich ist hier auch der Gebrauch von sollen).

„Sie müssen pünktlich sein!”

  • Sie sind verpflichtet/werden aufgefordert, pünktlich zu sein.
  • Ihre Pflicht / die Aufforderung an Sie, pünktlich zu sein, ...

6.3.  sollen

Variante 1 = Aufforderung
Die Hauptbedeutung von sollen drückt eine Forderung oder Aufforderung aus. Die Gründe dafür können sein: Auftrag, Ziel, Pflicht, Vorschrift etc. Die Forderung oder Aufforderung liegt im Willen einer Person oder Instanz.

Die Studierenden sollen ihre Scheine ausfüllen.

  • Die Studierenden sind verpflichtet/werden aufgefordert, ihre Scheine auszufüllen.
  • Die Pflicht der Studierenden / Die Aufforderung an die Studierenden, ihre Scheine auszufüllen, ...

Variante 2 = Rat, Empfehlung
sollen in der Bedeutung eines Ratschlags oder einer Empfehlung wird im Konjunktiv II gebraucht.

„Sie sollten dieses Buch lesen!”

  • Ich empfehle / rate Ihnen, dieses Buch zu lesen.
  • Meine Empfehlung / Mein Rat (an Sie), dieses Buch zu lesen, ...

6.4.  dürfen

Variante 1 = Erlaubnis
Die Bedeutung von dürfen gründet im Willen einer Person oder Instanz.

Sie dürfen während der Klausur Sekundärliteratur benutzen.

  • Man erlaubt ihnen, während der Klausur Sekundärliteratur zu benutzen.
  • Ihre Erlaubnis, während der Klausur Sekundärliteratur zu benutzen, ...

Variante 2 = Notwendigkeit
Diese Variante findet sich besonders häufig in wissenschaftlichen Texten, verbunden mit einer Negation.

Man darf die Grammatikregeln nicht ignorieren.

  • Es ist notwendig/erforderlich, die Grammatikregeln zu beachten.
  • Die Notwendigkeit, die Grammatikregeln zu beachten, ...

Beachten Sie hierbei, dass sich das Verb ändert (aus ignorieren [etwas nicht beachten] wird beachten).

Nicht alle Negationen von dürfen haben die Bedeutung von Notwendigkeit. Es gibt auch die Negation von Erlaubnis im Sinne eines Verbots bzw. einer Unzulässigkeit. Der Kontext entscheidet über die Interpretation.

Sie dürfen in der Klausur keine Sekundärliteratur benutzen.

  • Es ist verboten/unzulässig, in der Klausur Sekundärliteratur zu benutzen.
  • Das Verbot, in der Klausur Sekundärliteratur zu benutzen, ...

6.5.  wollen = Wille, Absicht, Wunsch

Mit dem Modalverb wollen drückt man hauptsächlich die Bedeutung von Wille, Absicht etc. aus.

Die Studierenden wollen eine Arbeitsgruppe bilden.

  • Die Studierenden planen/beabsichtigen, eine Arbeitsgruppe zu bilden.
  • Der Plan / Die Absicht der Studierenden, eine Arbeitsgruppe zu bilden, ...