2. Du sollst nicht irritieren
Im Fernsehunterricht ist die Irritation der kürzeste Weg zu
niedrigen
Einschaltquoten. Ein irritierter Fernsehschüler ist ein Schüler,
der
auf einen anderen Sender umschaltet. Die Sendungen dürfen also
nichts
enthalten, was man behalten, studieren, mit Fleiß verfolgen oder - das
Schlimmste überhaupt - geduldig erarbeiten müsste. Man geht
davon
aus, dass jede Information, jeder Bericht, jeder Gedanke unmittelbar
zugänglich gemacht werden kann, denn nicht die Entwicklung des
Lernenden, sondern seine Zufriedenheit
ist
entscheidend.
3. Du sollst die Erörterung meiden
wie die Zehn Plagen, die Ägypten heimsuchten
Von allen
Feinden des
Fernsehunterrichts, zu denen auch die Kontinuität und die
Irritation
gehören, ist die Erörterung der furchtbarste. Argumente,
Hypothesen,
Darlegungen, Gründe, Widerlegungen und all die anderen
traditionellen
Instrumente eines vernünftigen Diskurses lassen das Fernsehen zum
Radio
werden, schlimmer, sie machen aus ihm ein drittklassiges Druckerzeugnis.
Deshalb erfolgt der Fernsehunterricht stets in der Form von
Geschichtenerzählen, geleitet von dynamischen Bildern und von Musik
unterstützt.
[...] Im Fernsehen wird nichts gelehrt, was sich
nicht
visualisieren und in den Kontext einer dramatischen Handlung stellen
lässt. Einen Unterricht ohne Voraussetzungen, ohne Irritation und ohne Erörterung
darf man wohl als
Unterhaltung bezeichnen.
Aus: Postman, Neil: Unterricht als Unterhaltung. Die "Sesamstraße und ihre Folgen". In: Biermann, Heinrich; Schurf, Bernd (Hrsg.): Texte, Themen und Strukturen. Düsseldorf: Cornelsen. S. 387-388, leicht verändert