Text 3

"Du" oder "Sie"?

Der Grad der Vertrautheit zwischen den Sprechern ist demnach das entscheidende Merkmal für die Art der Anrede. Den sozialen Rang differenziert man dabei im Allgemeinen nicht weiter. Doch darf man die Anredepronomina nicht isoliert sehen. Auch bei symmetrischem (also beiderseitigem) Gebrauch der "Sie"-Form können, von anderen Signalen ganz abgesehen, bestimmte Mittel der nominalen Anrede hinzukommen. Sie verweisen auf entsprechende Rangunterschiede (zum Beispiel bei der Anrede mit dem Titel: "Herr Direktor", "Frau Doktor" oder ähnliches). Allerdings können wir in diesem Punkt für das Anredeverhalten kaum generelle und verbindliche Regeln angeben. Mit der Wahl der Titel-Anrede etwa befolgt man keine sprachliche, sondern eine soziale Konvention und die ist nicht zuletzt auch eine Frage gesellschaftspolitischer Grundhaltung, je nachdem, ob man eventuell gegebene Erwartungen bestätigen oder bewusst nicht bestätigen will: Wollen wir zum Beispiel mit unserem Anredeverhalten dem Gesprächspartner gegenüber einen Anspruch auf prinzipielle Gleichberechtigung signalisieren, können wir den Titel bewusst weglassen. An deutschen Universitäten zum Beispiel ist die Verwendung von Titeln eher ungewöhnlich. Die Studenten reden die Professoren und Professorinnen im Allgemeinen mit "Herr/Frau X" an. im Allgemeinen mit "Herr/Frau X" angeredet. Man riskiert in anderen Bereichen und Regionen aber auch, dass dieses Verhalten als Beleidigung interpretiert wird, vor allem in Österreich, wo die Titel-Anrede noch sehr gebräuchlich ist und sogar das Lehrpersonal an Schulen teilweise noch mit "Herr/Frau Professor" angeredet wird. Will man bestimmte Rangunterschiede ausdrücklich anerkennen, dann kann man das durch die Verwendung der Titel-Anrede noch unterstreichen. Die konkreten Anredeformen werden also je nach sozialer Gruppe und je nach aktueller Redekonstellation variiert.

Zu erwähnen bleibt noch die soziale Rangdifferenzierung durch asymmetrische, also einseitige, "Du"-/"Sie"-Anrede, wie sie etwa vorliegt, wenn Deutsche ausländischen Arbeitnehmern gegenüber das "Du" benutzen, selbst aber gesiezt werden. Eine solche Anredepraxis lässt zumindest erkennen, dass man den anderen von vornherein als unterlegen, als nicht gleichberechtigt ansieht. Dies umso mehr, als man die einseitige "Du"-Anrede normalerweise nur im Umgang mit Kindern und Jugendlichen verwenden darf. (Auch bei Geisteskranken geht man zum "Du" über!) Einem erwachsenen Gesprächspartner die "Sie"-Anrede zu verweigern, kommt also einer äußerst geringschätzigen Behandlung gleich und ist nicht zu akzeptieren. [...]


Ergebnis