Oben wurde darauf hingewiesen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten von Aneignungsprozessen gibt, die sich nach Lernalter (gleichzeitig oder nachzeitig, früher oder später) und Lernkontext (ungesteuert bzw. selbstgesteuert und gesteuert bzw. fremdgesteuert) differenzieren lassen. Die Aneignung einer Fremdsprache unterscheidet sich nun von der Aneignung einer Zweitsprache dadurch, dass die neue (fremde) Sprache von Lernern außerhalb des Unterrichts, z.B. beim Spielen mit Nachbarskindern, nicht gebraucht werden kann. So lernen z.B. türkische Kinder in Deutschland "Deutsch als Zweitsprache", weil sie Deutsch auch auf der Straße, beim Spielen etc. verwenden können, in der Türkei hingegen lernen sie "Deutsch als Fremdsprache".
Lernern einer Fremdsprache fehlen in der Regel Anregungen zum außerunterrichtlichen Üben und Weiterlernen. Die Aneignung einer Fremdsprache dauert daher im Allgemeinen länger als die einer Zweitsprache. Mit anderen Worten: Fremdsprachenerwerb ist Zweitspracherwerb unter eingeschränkten (d.h. bloß unterrichtlichen)Bedingungen. Dies hat zur Folge, dass die Lernergruppen im FU (Fremdsprachenunterricht) gewöhnlich auch homogener sind als im ZU (Zweitsprachunterricht), da keine Wörter, Formeln oder Konstruktionen aus außerunterrichtlichen Sprachkontakten in den Unterricht hineingetragen werden. Lernprozesse können folglich im FU vom Lehrer auch besser beeinflusst (bzw. gesteuert) werden.
Wenn man davon ausgeht, dass eine Zweitsprache ein alternatives Instrument zur Verständigung in einer zwei-bzw. mehrsprachigen Gesellschaft ist, so wird verständlich, dass mit dem ZU ein höheres Sprachniveau angestrebt wird als mit dem FU. Die Vermittlung eines höheren Sprachniveaus durch eine Intensivierung und Verlängerung des Sprachunterrichts kann erreicht werden. ZU beginnt daher i.d.R. bereits im Grundschulalter und wird mit sechs (oder mehr) Stunden pro Woche erteilt. FU beginnt dagegen häufig erst nach der Grundschulzeit und wird meist mit weniger als sechs Stunden pro Woche angeboten. [...]